Im März 1979 wurde Hannover zum Ziel einer machtvollen Demonstration gegen das Vorhaben, in Gorleben – Landkreis Lüchow-Dannenberg – ein nukleares Entsorgungszentrum und eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage zu errichten.
Anlass war ein Hearing vom 26. bis 31. März in Hannover, zu dem über 60 Fachwissenschaftler aus aller Welt eingeladen waren. Sie sollten der Niedersächsischen Landesregierung letzte Klarheit über die Sicherheit der geplanten Anlagen verschaffen.
Zeitgleich ereignete sich im amerikanischen Kernkraftwerk Harrisburg ein schrecklicher Unfall. Unter dem Eindruck dieses GAUs wuchs der „Gorleben-Treck“ auf ca. 100.000 Menschen an, die zu Fuß, mit Fahrrädern und auf mehr als 400 Traktoren unterwegs waren.
Anlässlich des 40. Jahrestages des „Gorleben-Trecks“ nach Hannover berichtete die Ausstellung von diesem großen Demonstrationszug und ordnete ihn in die AKW-Debatte jener Jahre ein. Sie zeigte auch die Entwicklung im Wendland bis in unsere Tage – zwischen Furcht vor atomaren Gefahren, breiter Protestkultur und neuem Selbstbewusstsein.
Ein umfangreiches Begleitprogramm – inkl. einer Tagung (Tagungsband „Der Gorleben-Treck 1979“, www.wallstein-verlag.de) – rundete die Ausstellung ab.
Die Aktion hatte Erfolg: Im Mai 1979 nahm die Landesregierung vom Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage im Wendland Abstand. An Plänen für ein Atommüll-Endlager hielt sie allerdings fest; seit 1986 wurde im Salzstock Gorleben ein „Erkundungsbergwerk“ errichtet, um seine Eignung zu prüfen.
Ein atomares Zwischenlager ging in Gorleben in Betrieb: Zwischen 1985 und 2011 wurden 113 „Castor-Behälter“ mit abgebrannten, schwach radioaktiven Brennelementen dorthin gebracht – stets von heftigen Protestaktionen begleitet.
Der „Gorleben-Treck“ steht für den Beginn einer bedeutenden Protestbewegung im Nachkriegsdeutschland. Sie führte zu einem neuen Demokratieverständnis und veränderte auch überregional Rechtsprechung und Atompolitik.
Die Ausstellung zeigt auch die Entwicklung im Wendland bis in unsere Tage – zwischen Furcht vor atomaren Gefahren, breiter Protestkultur und neuem Selbstbewusstsein.
An der Vorbereitung waren das Institut für Didaktik der Demokratie und Studierende der Leibniz Universität Hannover, das Gorleben-Archiv e. V. und die Niedersächsische Landeszentrale für Politische Bildung beteiligt.
Die Deutsche Atomkommission tagt und erklärt Salzstöcke als geeignete Lagerstätten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle.
Beginn der Standortsuche für ein Endlager zusammen mit einer Wiederaufbereitungsanlage zum Recycling der Brennelemente. Drei Standorte kommen in die nähere Wahl, der Salzstock Gorleben ist nicht darunter.
Waldbrand im Bereich der geplanten Anlage. An anderen möglichen Standorten ebenfalls Brände, Ursache ist Brandstiftung - die Täter sind unbekannt.
Gorleben wird erstmals in einem TÜV Gutachten als handschriftliche Notiz mit zweitbester Wertung erwähnt. Im Gutachten wird es an keiner Stelle erwähnt. Bohrungen an den Standorten werden eingestellt entsprechend dem Wunsch der Landesregierung.
Wegen der Provokation der Sowjetunion durch die Lage direkt an der Grenze zur DDR, rät die Bundesregierung von einem Endlager in Gorleben ab. Im Einvernehmen mit der Bundesregierung benennt Ministerpräsident Ernst Albrecht Gorleben als einzigen Standort
Das „Nukleare Entsorgungszentrum“ (NEZ) Gorleben soll auf einer Fläche von 12 Quadratkilometern gebaut werden. Eine Wiederaufbereitungsanlage für Brennelemente, eine Brennelementefabrik und verschiedene Lager für hoch-, mittel- und schwach radioaktive Abfälle werden geplant. Zum Endlager soll der Salzstock Gorleben-Rambow werden. Plutonium und Uran von alten Brennelementen sollen abgetrennt und in neue eingearbeitet werden. Die Reststoffe sind zur Endlagerung vorgesehen.
Die „Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen“ (DWK) versucht die benötigte Fläche aufzukaufen. Dies gelingt nur teilweise.
Der Gorleben-Treck zieht nach Hannover und wird zur größten Demonstration, die in der Bundesrepublik bis dahin stattgefunden hat.
Zeitgleich findet in der Stadt das Gorleben-Hearing mit 60 eingeladenen Wissenschaftlern statt. Diese beraten über Risiken und Techniken der Wiederaufbereitung von Kernbrennstäben.
Im Anschluss an das Gorleben-Hearing erklärt Ministerpräsident Albrecht den Verzicht auf die Wiederaufbereitung in Gorleben. Albrecht: "Die politischen Voraussetzungen sind zur Zeit nicht gegeben." Langzeit-Zwischenlager sind das neue Ziel, ein NEZ ist sicherheitstechnisch nicht realisierbar. Die Erkundung eines Endlagers wird nach Bergrecht fortgesetzt, eine öffentliche Beteiligung ist dadurch nicht vorgesehen. In Gorleben und Ahaus werden Zwischenlager gebaut.
Das Bundesverfassungsgericht erklärt die friedliche Nutzung der Atomkraft als verfassungsgemäß.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg erteilt die Erlaubnis für den Bau eines Zwischenlagers für radioaktive Abfälle.
Die ersten radioaktiven Abfälle treffen ein, der Weg zum Zwischenlager wird von Protesten begleitet.
Radioaktivität ist ein natürliches Phänomen: Instabile Atomkerne zerfallen und bilden neue Elemente wie z. B. das gefährliche Gas Radon.
1938 wurde entdeckt, dass bei der Kernspaltung von Atomen große Energiemengen frei werden. Seit den 1960er Jahren wird in Kernkraftwerken damit elektrische Energie produziert. Ein Kilogramm Uran erzeugt 350.000 Kilowattstunden (kWh) Strom, ein Kilogramm Erdöl 12 kWh. Verglichen mit Braunkohle fällt nur 1/20 der Menge an CO2 pro kWh an.
Als Gefahr wird die bei der Spaltung entstehende radioaktive Strahlung gesehen, die 1986 in Tschernobyl und 2011 in Fukushima freigesetzt wurde. Auch die sichere Lagerung des strahlenden Abfalls stellt ein noch ungeklärtes Problem dar.
Gorleben-Archiv e.V., Fotograf: PANFOTO / Günter Zint
Das Original des bunt bemalten, 3 t schweren Findlings liegt seit 1981 am Weißekreuzplatz gegenüber vom Eingang zum Kulturzentrum „Raschplatz-Pavillon“. Es ist bereits der zweite „Gorlebenstein“, der an den Treck erinnert. Der erste – unten im Bild – war 1979 von den Demonstrant*innen aus dem Wendland mitgebracht, aber 1981 von WAA-Befürwortern entwendet worden.
Während in den 1950er Jahren das Tragen von „Nietenhosen“ aus Denim als Zeichen von Rebellion galt, war Jeans-Kleidung 20 Jahre später längst zum „Mainstream“ geworden und wurde nicht nur von Jugendlichen getragen.
Die auf den Kleidungsstücken befestigten Buttons demonstrierten die politische Meinung der Träger*innen, drückten ihre latente Kritik gegenüber dem „Establishment“ aus und signalisierten die emotionale Zugehörigkeit zu unterschiedlichen oppositionellen Gruppen.
1967 entstand in Berlin die legendäre „Kommune 1“ – Muster für alternatives Zusammenleben in Wohngemeinschaften. Lebten junge Menschen bis dahin vorwiegend im familiären Verbund, boten WGs die Möglichkeit, mit gleichaltrigen jungen Erwachsenen zusammenzuleben. Seither nutzen v. a. Studierende diese Wohnform.
Doch nicht nur als preisgünstige Wohnung waren WGs von Bedeutung: Besonders in den 1970er und 80er Jahren schätzten ihre Bewohner*innen sie als Orte für Gedankenaustausch, Aushandlungsprozesse und politische Debatten. Treffpunkt und Mittelpunkt der Wohngemeinschaften waren stets die Küchen. Hier wurden Treffen abgehalten, das Zusammenleben organisiert, Reisen, Freizeit- und politische Aktivitäten geplant.
In Hannover gab es schon seit den frühen 1970er Jahren eine aktive Umweltbewegung. Geprägt durch die Studierendenbewegung der „68er“ organisierten sich Aktivist*innen in mehreren Bürgerinitiativen. So hatte etwa die „Wendland-Kooperative“ das Ziel, durch Beziehungen nach Lüchow-Dannenberg den Konsum regionaler Produkte anzuregen. Einige Gruppen trafen sich regelmäßig auch im hannoverschen Atomplenum zum Austausch. Ab 1977 kamen alternative Wählergemeinschaften und umweltbewusste Parteien hinzu.
Schon 1977 gründeten Aktivist*innen die Umweltschutzpartei Niedersachsen (USP), die 1978 als „Grüne Liste Umweltschutz“ (GLU) zur Landtagswahl antrat. Sie erzielte landesweit beachtliche 3,2 %, im Kreis Lüchow-Dannenberg sogar 17,8 % der Wähler*innenstimmen.
Die „Sonstige Politische Vereinigung (SPV) Die GRÜNEN“ trat im Juni 1979 zur ersten Europawahl an. Sie waren ein bundesweiter Zusammenschluss diverser grün-alternativer Parteien und Wählerbündnisse.
Im Dezember 1979 gründete sich der Landesverband „Die GRÜNEN Niedersachsen“; im Jahr darauf folgte in Karlsruhe die Gründung der Bundespartei.
Eine Megawattstunde Strom kostet in einem Kernkraftwerk ca. 15–20 €, in Kohle und Gaskraftwerken 30–40 €. Zudem wird vergleichsweise wenig Brennstoff benötigt.
Nicht nur Wind- und Solaranlagen erzeugen CO2frei Strom, sondern auch Kernkraftwerke; ohne ihren Einsatz sind die weltweit festgelegten Klimaschutzziele nicht erreichbar.
Kernkraft ist eine der sichersten Energiequellen: Aktuelle Reaktor-Designs verhindern Zerstörungen – etwa durch abstürzende Jets – sowie unkontrollierte Energiefreisetzung. Kernreaktoren produzieren „24/7“ Strom. Sie liefern – anders als Wind- und Wasserkraft – ohne Schwankungen, unabhängig von der Natur, konstant und stabil Energie. Gute Liefer- und Lagerbedingungen der Brennstoffe schaffen hohe Versorgungssicherheit.
Mit Kernkraftwerken entstehen gut bezahlte Arbeitsplätze u.a. in den Bereichen (Elektro-) Technik, Ingenieurwesen, Messtechnik, Objekt- und Strahlenschutz, Dekontamination.
Kernspaltung kann zu unkontrollierbaren Kettenreaktionen führen. Wissenschaftliche Studien haben einen Zusammenhang zwischen AKW-Strahlung und Krebserkrankungen sowie Missbildungen bei Kindern beschrieben. Auch wurden vermehrt Totgeburten durch Strahlung sowie Veränderungen an Tieren und Pflanzen beobachtet.
Kein Atomreaktor ist gegen Terror geschützt. Moderne – etwa satellitengestützte – Geschosse können alle Abwehrtechniken überwinden.
In Kernkraftwerken entsteht hochradioaktiver Abfall, der mehr als 1 Mio. Jahre strahlt. Weltweit wurde noch kein sicheres Endlager gefunden, unklar ist, welche Gesteine sich eignen. Daher wird Atommüll zurzeit nur zwischengelagert.
Kernenergie und damit verbundene Brenn- und Abfallstoffe eignen sich zum Einsatz in der Rüstungsindustrie. Fehlen rechtliche und politische Kontrolle, ist die Herstellung verheerender Vernichtungswaffen möglich.
Deutschland verfügt nicht über Uran-Vorkommen, ist daher auf Importe dieses Brennstoffes angewiesen.
Manchmal einfach gestaltet und vervielfältigt – manchmal aufwendig, in ästhetisch anspruchsvollem Design ausgeführt: Plakate haben die Anti-Atom-Proteste im Wendland stets begleitet. Das Gorleben-Archiv in Lüchow verwahrt über 600 unterschiedliche Originaldrucke, von denen hier überwiegend die frühen Motive wiedergegeben sind. Viele Entwürfe lehnen sich an „Klassiker“ der Plakatgestaltung an, verwenden und verfremden Fotos, setzen Karikaturen ein oder zitieren bekannte Texte und Symbole.
Protest PlakativWas für uns so selbstverständlich ist, ist in den meisten Staaten der Welt verboten oder wird behindert. In Deutschland herrscht Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Beide sind in unserem Grundgesetz festgeschrieben. Aber auch in Deutschland gibt es Grenzen:
So sind „unfriedliche Demonstrationen, Bewaffnung und Vermummung der Teilnehmer“ verboten.
WortwandWas hat Protest mit mir zu tun?
Erst durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ansichten wird die Entstehung einer öffentlichen Meinung und die politische Willensbildung ermöglicht. Es steht schlecht um unsere Demokratie, wenn niemand von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch macht.
Die BIU wurde 1971 in Hannover gegründet und eröffnete das erste Umweltschutz-Zentrum in der Bundesrepublik Deutschland. Bereits vor dem Gorleben Treck organisierte die BIU Aktionen gegen Atomkraft. Ende 1972 brachte die BIU die erste Ausgabe der „UmweltDepesche“ heraus, in der sie unter anderem über Atomkraft informierte. Durch den Treck erhielt die BIU starken Zulauf. In den Monaten danach berichtete der Verein regelmäßig über den aktuellen Stand aus dem Wendland und über geplante Aktivitäten. Bis heute engagiert sich die Bürgerinitiative in den Bereichen Energie, Verkehr, Stadtentwicklung und Müll.
„Ich denke das ist/war eigentlich der Haupterfolg letzten Endes dieser ersten Initiative von Hannover aus, dass sie zu einer Organisierung der Bauern im Wendland geführt hat.“
Antje Brink
Durch die Endlagerpläne in Gorleben angestoßen, veröffentlichte Antje Brink ihre Doktorarbeit über eine Erzeuger*innen- und Verbraucher*innen-Genossenschaft. Dadurch gründete sich 1989 die Wendland Kooperative. Ihr ursprünglicher Schwerpunkt lag in der Unterstützung der bäuerlichen Betriebe im Wendland, die sich auf eine ökologische Produktion umstellten und wegen der Grenze zur DDR weit von den städtischen Märkten entfernt waren. Seit 1993 betrieb die Kooperative einen eigenständigen Mitgliederladen in Hannover. Auch heute noch stellt sie eine Solidargemeinschaft dar, jedoch wird die Genossenschaft nicht mehr aus dem Wendland beliefert, sondern mit regionalnahen Bioprodukten.
Ab 1979 ließ die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (Braunschweig) Tiefbohrungen durchführen, um den Salzstock Gorleben auf seine Eignung als Endlager für nukleare Abfälle zu prüfen. Als im Mai 1980 in einem Waldstück bei Trebel entsprechende Untersuchungen bevorstanden, versammelten sich hunderte Atomkraftgegner*innen und besetzten die Bohrstelle 1004. Sie errichteten die Republik Freies Wendland: ein Dorf aus unterschiedlichen Hütten, darunter ein Freundschaftshaus, mehrere Bühnen und eine Kirche.
Ständig lebten hier 500 Menschen zusammen – an den Wochenenden stieg die Zahl der Bewohner*innen bis auf das Zehnfache an. Gäste waren u.a. der SPD-Politiker Jo Leinen, der Berliner Schriftsteller Klaus Schlesinger, der Liedermacher Wolf Biermann sowie der Juso-Chef Gerhard Schröder.
Das Gemeinschaftsleben war basisdemokratisch organisiert, wichtige Entscheidungen wurden in Vollversammlungen getroffen. Es wurden Vorträge, Diskussionsrunden, Lesungen, Rock-Konzerte und Puppentheatervorstellungen angeboten.
Die Menschen im Wendland unterstützten die Besetzer*innen tatkräftig und versorgten sie mit Bauholz, Lebensmitteln und Wasser. Am 18. Mai 1980 ging auf einem Turm desbesetzten Geländes der Piratensender Radio Freies Wendland auf Sendung.
Bundes- und Landespolitik standen der Republik Freies Wendland äußerst kritisch gegenüber, zumal Grund und Boden Eigentum der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen waren und wegen anhaltender Trockenheit ein Waldbrand befürchtet wurde.
Für den Fall einer Auflösung des Dorfes durch die Ordnungskräfte waren sich die Bewohner*innen einig, dass allein passiver Widerstand geleistet werden sollte; dem widersprachen nur wenige militante Besetzer*innen.
Am 4. Juni 1980 begann die Räumung des Geländes: Über 3.000 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz rückten – auch aus der Luft – zum Großeinsatz an. Die ca. 2.500 anwesenden Besetzer*innen hatten sich zu einer Sitzblockade versammelt, die Polizisten mussten sie wegtragen, bevor das Hüttendorf beseitigt wurde.
Die Räumung von „1004“ verlief überwiegend friedlich. Kein Vergleich mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen 1977 am KKW-Bauplatz in Grohnde. Nach den Erfahrungen der 1970er Jahre änderte die Polizei ihr Vorgehen im Sinne von Deeskalation und Demonstrationsrecht.
Der Sender „Radio Freies Wendland“ war bis zur Räumung des Geländes durch Bundesgrenzschutz und Polizei am 04. Juni 1980 aktiv und berichtete zuletzt live von der Räumung. Nach der Auflösung des Hüttendorfes ist der Sender zur Unterstützung der Anti-Atomkraft-Bewegung im Wendland immer wieder aktiv geworden und war auch im Rahmen von Protestaktionen gegen die Castor-Transporte (2006, 2008, 2010, 2011) auf Sendung.
40 Jahre Widerstand, Protestaktionen und politisches Engagement verwandeln den Landkreis Lüchow-Dannenberg in eine vielfältige Region. Nach wie vor zieht es immer wieder Künstler*innen und Kulturschaffende dorthin. Sie schätzen die Ruhe, die Landschaft und das kreative Potenzial, das sich durch die Anti-Atombewegung entfaltet hat. Heute bietet das Wendland Raum für alternative Lebensentwürfe und Geschäftsideen, sei es in der Kultur, in der Landwirtschaft oder im Austausch mit anderen Menschen. Nachhaltigkeit und ökologische Verantwortung sind vielen neuen und alten Wendländer*innen besonders wichtig.
1990 beschlossen Kunstschaffende und Handwerker*innen im Wendland das erste Mal, ihre Werke auf ihren Höfen auszustellen und so ein Zeichen gegen Atomkraft zu setzen. Die Veranstaltung „Wunde.r.punkte“ wurde ein großer Erfolg und bald wiederholt. Inzwischen ist daraus die „Kulturelle Landpartie“ geworden. Jedes Jahr, zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten, finden nun mehrere 100 Aktionen in der Region statt. Zu den über 900 Ausstellenden gesellen sich tausende Gäste, so dass sich die
Einwohner*innenzahl des sonst dünn besiedelten Landkreises mehr als verdoppelt. Neben Politik, Kunst und Handwerk gibt es Theater, Musik, regionale Küche oder Wellnessangebote. Ein Tag bleibt jedoch weiterhin dem Protest vorbehalten: die kulturelle Widerstandspartie.
Die Kritik an der Atomkraft und an der Lagerung der atomaren Abfälle beschäftigt die Region bis heute. Während der „Castortransporte“, die von 1995 bis 2011 ins Wendland rollten, gab es massive Proteste: Aktivist*innen ketteten sich an Schienen und Beton-Pyramiden, blockierten Straßen oder unterhöhlten Schienen und verzögerten so die Transporte ins Zwischenlager. Dabei kam es wiederholt zu teils heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Im September 2009 kamen Zehntausende Kernkraft-Gegner*innen unter dem Motto „Mal richtig abschalten“ in Berlin zusammen, um gegen die Atompolitik der Bundesregierung zu protestieren. Die Demonstration bildete zugleich den Abschluss eines einwöchigen Traktor-Trecks mit Start in Gorleben, zu dem die Bäuerliche Notgemeinschaft aufgerufen hatte.
40 Jahre Protest zeigten Wirkung: Das „Standortauswahlgesetz“ wurde 2013 verabschiedet, 2017 trat es in Kraft. Es bildet die Grundlage für ein transparentes Verfahren für die Suche nach einem Endlager.
Aktuell gibt es drei Endlager. Aus der Asse bei Wolfenbüttel sollen die Abfälle zurückgeholt werden. Das ehemalige Endlager der DDR, Morsleben, ist stark einsturzgefährdet und wird verfüllt. Der „Schacht Konrad“ bei Salzgitter wird weitergenutzt. In diesen Lagern liegen hauptsächlich schwach- bis mittel-radioaktive Abfälle.
Für die hochradioaktiven Abfälle, die den Großteil der Strahlengefährdung ausmachen, wird weiterhin ein Endlager gesucht. Bis zum Atomausstieg 2022 werden in Deutschland 17 200 Tonnen atomarer Abfälle angefallen sein.
www.endlagersuche-infoplattform.de
Die rot-grüne Bundesregierung beschließt den Atomausstieg. Keine Untersuchungen in Gorleben für zehn Jahre.
Unter der CDU/FDP-Regierung kommt es 2010 zur AKW-Laufzeitverlägerung, in Folge des Fukushima Unglücks 2011 wird der zweite Atomausstieg beschlossen.
letzter Castor Transport nach Gorleben.
Von 2010–2013 tagt ein Untersuchungsauschuss, um die Entscheidung für Gorleben nachzuvollziehen.
Neubeginn der Endlagersuche:
Einsetzung der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“, Beschluss des Standortauswahlgesetzes zum 1. Januar 2014. Der Gorleben-Konflikt soll beendet werden, die Erkundung wird eingestellt. Eine neue Untersuchung wird vorbereitet, in die alle möglichen Standorte einbezogen werden.
Abschaltung der letzten Kernkraftwerke
Danach werden nur noch Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung sowie einer Urananreicherungsanlage in Gronau und der Brennelementherstellung in Lingen entsorgt.
Der Standort eines neuen Endlagers soll festgelegt sein.
Die Aufbewahrungsgenehmigung des Zwischenlager Gorleben erlischt.
Soweit nicht anders angegeben, stammen die Fotos von:
Viola Hauschild, HAZ-Hauschild-Archiv, Historisches Museum Hannover
Gerhard Stoletzki, Historisches Museum Hannover
Jekaterina Kredovica, Historisches Museum Hannover